Immer mehr Wege werden zu Fuß zurückgelegt, Autos stehen immer häufiger ungenutzt herum - das sind zwei wichtige Erkenntnisse der neuen Mobilitätsstudie der Bundesregierung.
Das Auto bleibt zwar das wichtigste Verkehrsmittel in Deutschland. Es steht aber immer häufiger ungenutzt herum. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie “Mobilität in Deutschland”, die vom Infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums erstellt wurde. Demnach wird fast die Hälfte der Autos an einem durchschnittlichen Tag nicht bewegt. Im Jahr 2008 sei nur ein Drittel der Autos am Tag nicht genutzt worden.
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Die Jahresfahrleistung von E-Autos betrage im Schnitt 14.600 Kilometer, während es bei allen Wagen 13.700 seien, bei neueren Verbrennern ab dem Zulassungsjahr 2020 aber durchschnittlich 16.800 Kilometer.



Das sind bei Licht betrachtet lächerlich geringe Entfernungen, die man
ganz(edit) oft noch recht mühelos auch ohne Auto zurücklegen kann.Ich zum Bespiel fahre ca alle vier Wochen im ICE die Strecke München-Berlin, um meine Eltern oder andere Verwandte zu besuchen. Das sind 590 Kilometer, bei 12 Reisen im Jahr schon etwas über 13000 Kilometer. Vielleicht auch mal nur 11000.
Zur Arbeit fahre ich an 250 Tagen im Jahr, meist mit dem Rad, sonst - vor allem bei sehr schlechtem Wetter - mit der S-Bahn. (Ich bevorzuge das Rad, weil es gesünder ist, es ist aber von Tür zu Tür auch ein bisschen schneller.) Einfache Fahrt 14 Kilometer, das sind im Jahr dann noch mal 7000 Kilometer. Halt, ich kann normalerweise 1 Tag pro Woche Home Office machen, also 5600 Kilometer.
Die Freizeitbeschäftigungen und den Urlaub lasse ich mal weg (auch das geht prima mit dem Zug).
Ich bin also ziemlich genauso weit unterwegs wie der durchschnittliche Autofahrer, ohne überhaupt ein Auto zu haben oder zu brauchen. Im Durchschnitt sind aber auch eben die Leute enthalten, die im Aussendienst z.B. Spezialmaschinen verkaufen und jeden Monat zehntausend Kilometer und mehr zurück legen. D. h. schon der Median wird deutlich darunter liegen.
Nun ist natürlich klar, dass der typische Landbewohner, der jede Woche von Oberammergau nach Warschau oder Belgrad pendelt, um Spargel zu stechen, oder die berühmte alleinstehende, alleinerziehende, einbeinige Krankenschwester mit drei Kindern, die in der sächsischen Provinz lebt, längere Entfernungen zurück legen. Härtefälle gibt’s, keine Frage. Diesen so gar nicht privilegierten Leuten würde ich nicht das harte Leben noch schwerer machen wollen. Aber, ganz ehrlich - die autozentrierte Infrastruktur existiert nicht als Wohlfühlveranstaltung für Härtefälle (sondern als Wohlfühlveranstaltung für Autofirmen).
Ich weiß natürlich, dass nicht jede/r Lust haben wird, 40 oder 50 Minuten mit dem Rad zur Arbeit zu pendeln. Besonders wenn es ungewohnt ist. Genau auf die Bequemlichkeit zielt die Werbung fürs Auto ja ab. Aber wenn man es mal ganz nüchtern betrachtet und die süße Droge aus Benzingeruch und morgendlichen Stauwarnungen weg lässt: Wer es körperlich und gesundheitlich schafft, am Wochenende mal ganz entspannt zwei Stunden zu wandern, dürfte es auch am Montag schaffen, eine halbe Stunde Rad zu fahren. Und diese zehn Kilometer oder weniger machen erwiesenermaßen die Mehrzahl aller Autofahrten aus.
Völlig absurd wird es, wenn man über die Kosten nachdenkt. Für meine Fahrten mit dem ICE Sprinter nach Berlin gebe ich ca. 100 Euro pro Monat aus. Fürs Deutschlandticket 58 Euro. Mein Tourenrad habe ich als Ausstellungsfahrzeug vor 10 Jahren für 1300 Euro gekauft und hatte jetzt nach 10 Jahren eine grössere Reparatur, bei der für 380 Euro die Shimano Alfine samt Felge ersetzt wurde. Bei dem was Leute fürs Auto ausgeben, kann ich nur den Kopf schütteln.
Denn letztlich: Ein Privatauto, dass man nicht zum Pendeln für wirklich nennenswerte Strecken, oder mehrmals die Woche für grössere Entfernungen benötigt, kann einfach nicht wirtschaftlich sein - dafür sind die Fixkosten zu hoch.
Wobei es schon etwas einfach gedacht ist, wenn man annimmt, dass alle mit PKW zurückgelegten Kilometer so ÖPNV-freundlich seien wie München-Berlin. Wenn du 13000 Kilometer zwischen irgendwelchen Dörfern oder Kleinstädten hin- und herpendelst wird die Diskrepanz halt leider riesig. Da werden zwei Stunden Auto auch schnell mal zu zwölf++ Stunden Bus mit zich Umstiegen.
Mal ein kleines (reales) Beispiel:
Für gesunde Leute mit überschaubaren Distanzen und ohne großen Transportbedarf ist Fahrrad perfekt. In und zwischen Städten ÖPNV ebenso. Aber die Lebensrealität vieler Menschen ist eben eine andere und das kann man auch nicht einfach von heute auf morgen umstellen. Und da sehe ich die E-Mobilität aktuell als einzige gangbare Lösung. In 10-20 Jahren sieht die Welt dann aber vielleicht auch wieder anders aus.
Nur noch speziell zum Punkt “Transportbedarf”: Mit stabilen Packtaschen (Vaude) und Rucksack kann ich auf dem Rad bequem 18 oder 20 Kilo Einkäufe transportieren. Das ist für unseren 2-Personen-Haushalt meist schon mehr als genug. Mit einem stabilen faltbaren Anhänger (https://hinterher.com/) können wir problemlos 50 Kilo zusätzlich, oder 4 Kästen Bier transportieren. Ein Lastenrad mit 400 Kilo könnten wir vom lokalen ADFC leihen - haben wir bisher noch nicht gebraucht. Ganz große Sachen wie ein Sofa lassen wir halt liefern. Ein Großraumtaxi hab ich auch schon mal benutzt… vor 11 Jahren.
Das ist halt wieder so ein Werbetrick der Autoindustrie, man brauche ein Fahrzeug für alle Lebenslagen. Was zum absurden amerikanischen Lebensstil führt, mit dem spritfressenden Pick-Up zur Arbeit zu pendeln. Aber praktischer ist doch: Wenn man umzieht, bucht man einen Möbelwagen. Und wenn man fix ins Krankenhaus muss, gibt es einen Krankenwagen.
Ich hab auch mal in so einem Kaff in Ostwestfalen gearbeitet, wo nach 19 Uhr und am Wochenende kein Bus mehr fuhr.
Lösung war, ganz einfach: In die nächste kleinere Stadt ziehen. Von da 9 Kilometer mit dem Rad zur Arbeit. Und am Wohnort fußläufige Entfernungen plus einen IC und Regionalbahnhof.
Langfristig wird es wahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass mehr oder weniger alle in zumindest kleinen Städten leben, aber kurz- oder mittelfristig ist das einfach keine Option. In den lebenswerten Städten besteht ja auch nicht unbedingt ein Überangebot an Wohnraum.
Was heißt hier reales Beispiel, was für ein Szenario ist das? Selbst mit dem Auto wären das ja noch 6h, du willst vermutlich auch wieder zurück, oder hast du das da eingeplant? Und selbst auf 3h Auto fahren hätte ich zum täglichen Pendeln keine Lust. Abgesehen davon kann man auch unterschiedliche Transportmittel kombinieren, z.B. mit dem Fahrrad oder Auto (wenn es unbedingt sein muss) zu einem besser angebundenen Bahnhof fahren.
Joa. Ich komme vom Land, und ärgerlicherweise haben wir da auch noch Berge. Du brauchst leider ein Auto, wenn du:
Jetzt wohn ich in einer größeren Stadt, und mache alles mit Fahrrad und ÖPNV. Das ist leider der Unterschied, und ich seh auch ein, dass für statistisch 0.4269 Passagiere kein Bus fährt.
Die deutliche Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland lebt in Städten und Verdichtungsräumen. Die wirklich abgelegen wohnende Landbevölkerung ist real eine kleine Minderheit.
Das verlangt ja auch keiner, dass die Leute die noch keinen akzeptablen ÖPNV haben, sich umstellen sollen.
Nur: Warum passiert da nichts? Warum wird da nichts gemacht, um die Anbindung weiter draußen zu verbessern?
Wir haben eine alternde Gesellschaft. Ein wachsender Teil unserer Senioren können und dürfen nicht mehr Auto fahren. Was passiert mit denen?
Ich widerspreche lediglich deiner Aussage “ich fahre problemlos 13.000 km pro Jahr mit ÖPNV, also kann jeder, der 13.000 km pro Jahr E-Auto fährt, auf ÖPNV umsteigen”. Das ist zumindest, wie ich deinen Beitrag oben interpretiert habe.
Freue mich, wenn mehr Leute ihre Fahrzeuge abschaffen und ÖPNV+ Fahrrad ausgebaut wird.
Das gerade ist ja auch ein Riesenproblem!
Gerade auf dem Land leben viele Ältere, während viele Jüngere wegziehen (ich zum Beispiel).
Das mit dem ÖPNV ist ein Henne-Ei-Problem: wenn er gut ist, wird er benutzt, wenn er benutzt wird, wird investiert, und andersrum.
Wenn ich also bei mir in der Heimat leere Busse sehe, dann wundert mich nicht, dass die Stadt die Buslinien nicht ausbaut.
Das mit dem Dürfen ist leider so eine Sache, die tatsächlich anders läuft. Für Führerscheine der Klasse B gibt es keinen Kontrollmechanismus, der sicherstellt, dass die Leute, die den haben, auch noch fahrtüchtig sind.