Hier gibt es eine wirklich tolle und brandaktuelle Doku von Arte zum Thema, wie sich die Arbeitszeit entwickelt hat:
https://www.arte.tv/de/videos/120854-005-A/haben-wir-frueher-mehr-geschuftet/
Gibt’s da Quellen dazu? Ich denke, dass es damals noch viel schwieriger war, Arbeit und Freizeit überhaupt voneinander abzugrenzen. Wenn dann gerade keine Feldarbeit gemacht wurde, wurden Maschinen und Kleidung repariert oder Lebensmittel haltbar gemacht. Dass man damals wesentlich mehr echte Freizeit gehabt haben soll, als heute, finde ich schwer vorstellbar, lasse mich aber gerne eines besseren belehren.
Damals haben bestimmte Tätigkeiten auch deutlich länger gedauert als heute, weiss nicht in wie fern das berücksichtigt wurde. 1h unterwegs für 4km ins nächste Dorf. 4h um das eigene Brot zu backen oder Bier zu brauen, was dann allerdings nur ein paar Tage haltbar ist. Ein neues Hemd, Schuhe oder Hosen haben mehrere Wochen oder monatsgehälter gekostet. Zu kaufen gab es nur, was innerhalb von 10km produziert wurde, waren wie Gewürze waren wegen Transportkosten und zoelle aller Kleinstaaten auf dem Weg praktisch unerschwinglich für den durchschnittlichen Bauerntrottel oder Lohnsklaven.
https://thehistoryace.com/the-amount-of-hours-medieval-peasants-worked-per-week/
During the medieval era peasants would work an average of 1080 hours a year or about 20 hours a week. This number would fluctuate depending upon the demands of the lord and the season. The reason the average medieval peasant worked less hours is because of how work was structured during the medieval open-field system.
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Economic historians such as Nora Ritchie calculated that medieval peasants would only work up to 120 days a year due to fluctuations in the farming seasons and church sanctioned holidays. During these farming days the medieval peasant could expect to work from sun up to sun down.
During the peak of the farming season this would be 16 hour days, 6 days a week. Sunday was reserved for rest. However, historians have primary sources that detail that during these 16 hour days the work was not consistent.
The local church wanted to keep the peasantry happy. As such there were a lot of mandated breaks for medieval peasants throughout the day.
There was an hour break for breakfast, hour break for lunch, a one to two hour break at noon for a nap, and another hour break for dinner. (page 445-455 of linked source)
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In return for their labor a lord would give them governance, stability, protection, and in some cases private land ownership in the lord’s name. The lord would provide no direct social security or a means for retirement. However, if a peasant could eventually acquire their own piece of land then they could have a family and obtain some level of social security.
Further, the concept of community was incredibly strong in medieval villages and towns. A medieval peasant who got sick would be taken care of by other peasants and by the local church. In turn they were expected to help others who were sick.
However, in the end a medieval peasant would not retire. They would work their entire life in some capacity. However, when a peasant could no longer work in the field their children or community would help out and give them the smaller tasks to help the community out.
Dein Link definiert halt nicht, was als “Arbeit” zählt. Hausarbeit war vor der Erfindung von Haushaltsgeräten wie der Waschmaschine und halbwegs leistbaren Stoffen (im Gegensatz zu selbstgewebten Stoffen) ein massiver Arbeitsaufwand. Was bringt dir eine 30h-Woche, wenn du dann praktisch deine ganze Freizeit mit Putzen, Sachen reparieren, einkaufen usw. verbringst? Und ich bezweifle, dass Frauen an Feiertagen nicht geputzt, gekocht, genäht usw. haben.
Der Bauer hatte aber auch keinen so großen Steam Backlog wie ich abzuarbeiten in seiner Freizeit!
Da die Anzahl der Kleidungsstücke deutlich geringer war, bezweifel ich, dass so viel Zeit zum waschen aufgebracht wurde. Dazu kommu, dass Wäschewaschen, Kochen und andere Hausarbeiten sozialer waren, wodurch sie weniger dröge als heute waren.
Zum Kochen ist schon mal das praktische Thema, dass in der Erntesaison nicht gleichzeitig gekocht und das Feld bestellt werden konnte. D.h. i.d.R. die Frauen mussten vor dem Mittag vom Feld runter und an den Herd. Damit verringert sich die Arbeitszeit.
Einkaufen ist ein interessantes Beispiel. Früher ist man dann zum Markttag in die Stadt gefahren/gelaufen, und hat da alles erledigt was man brauchte, aber natürlich auch gequatscht, die neuesten Nachrichten bekommen, etc.
Heute gehen Leute eher in ihrer Freizeit zum Markt. Die Erfahrung wird anders wahrgenommen, als z.B. im Supermarkt die Wocheneinkäufe zu machen. Sonst gehen Leute auch bewusst als Freizeitaktivität “shoppen”, was keinesfalls als “Arbeit” gewertet werden kann.
Zu guter letzt musst du dann aber auch auf die heutigen Arbeitszeitmodelle noch die Hausarbeit draufschlagen. Wer richtig kocht, ist dann auch noch mal bei 10-20h mehr pro Woche.
Bei Themen wie “Garten” oder “Handwerken” als Hobby ist dann auch die Frage, warum sich so viele freiwillig ein Hobby als zusätzliche Arbeit antun, dass der Arbeit und Hausarbeit mittelalterlicher Bauern ähnelt? Offenbar ist die Wahrnehmung davon was “Arbeit” und was “Freizeit” ist, auch heute noch nicht so einfach trennbar.
Da die Anzahl der Kleidungsstücke deutlich geringer war, bezweifel ich, dass so viel Zeit zum waschen aufgebracht wurde.
Ich habe über die römische Antike gelesen, dass Stoffe herstellen und Kleidung nähen tatsächlich die Hauptbeschäftigungen von Frauen gewesen sein soll. Das hängt natürlich auch von Mode, Klima und Reichtum ab (weniger arme Familien können sich ja zumindest gewebte Stoffe kaufen, und in Sizilien muss Kleidung nicht so warm sein wie in Deutschland), aber ich wüsste keinen Grund, warum das im mitteleuropäischen Mittelalter für die meisten Menschen deutlich anders gewesen sein sollte - die erste große Innovation in dem Bereich seit der Antike, das Spinnrad, kam hierzulande erst ab ca. dem 13. Jhd auf.
Hier eine Quelle: https://acoup.blog/2021/03/19/collections-clothing-how-did-they-make-it-part-iii-spin-me-right-round/ (im Abschnitt “Distaff Economics”)
Put into working terms, the basic clothing of our six person farming family requires 7.35 labor hours per day, every day of the year. Our ‘comfort’ level requires 22.05 hours (obviously not done by one person).
Das ist natürlich alles relativ grob geschätzt, andere Autoren könnten da zu deutlich anderen Werten kommen.
These figures come way down once we get the spinning wheel and horizontal loom, but what seems fairly readily apparently is that women did not necessarily work less so much as produce more, selling the excess via the ‘putting out’ system we mentioned last time and using that to support their families.
Spinnräder sind lt. Wikipedia im 12 Jahrhundert nach Europa gekommen. Damit ist dann die interessante Frage, auf welche Zeit im Mittelalter wir uns beziehen.
Sie sind zu der Zeit aufgekommen, aber das heißt nicht, dass sie schon im Jahr 1200 in jedem mitteleuropäischen Haushalt standen. Zumal die Qualität der Fäden, die mit Spinnrädern hergestellt wurden, zu Anfang anscheinend deutlich niedriger war als bei der vorher traditionellen Methode, was die Anwendbarkeit eingeschränkt hat.
Die definieren halt auch nicht, was eigentlich als Arbeit zählt. Würdest du sagen, dass du viel Freizeit hast, wenn du nur z.B. 5 Stunden am Tag deinen Beruf ausübst, aber dann jeden Tag 7h Hausarbeit (Kochen, Putzen, Nähen, Einkaufen, …) machen musst?
Implizit steht das ja da: Die BiM-Quelle bezeichnet das als „Lebensunterhalt erwirtschaften“. Subsistenz wäre damit mit der genannten Stundenanzahl erreicht. Darunter fallen also auch Hausarbeit, da damit die Arbeitsfähigkeit für die Zukunft sichergestellt wird.
Der Rest verteilt sich damit auf Schlafen und andere Aktivitäten.
Das müsste halt expliziter sein. Man erfährt ja dort so ziemlich nichts darüber, wie viele Arbeitsstunden die Autoren für Hausarbeiten annehmen, und man erfährt auch nicht, welche dieser Arbeiten sie tatsächlich zum “Lebensunterhalt” dazuzählen.
Dies. Der wird eher 30 Wochenstunden für seinen Lehnsherrn gearbeitet haben, und dann war er bei null und durfte sich in der Freizeit selbst versorgen.
https://www.medievalists.net/2023/08/medieval-taxes/
Hier ein kurzer Auszug, ich empfehle den ganzen Artikel.
During the middle decades of the fourteenth century, the average tax-paying peasant would have to pay the equivalent of 32 grams of silver to the royal treasury. This would represent about 2% of the value of their farm.
…
Overall, the period between 1365 and 1424 would see the average annual tax rate to be 177 grams of silver, or the equivalent of 105 kilograms of butter – overall, it was about 15% of the value of a farm. By way of comparison, in England during the 1370s, just prior to the Peasants’ Revolt, the average tax per capita was about 10 grams of silver.
Besides the great variations in taxation rates over time, the authors also found that the amount of taxes paid would be much different depending on which area of Sweden you lived. While the northern areas paid little taxes, those in the central region, which was the most fertile and economically diverse, paid five times as much.
Der Artikel bezieht sich auf Schweden, wobei wir aber einige Sachen feststellen können:
- Kommt die Besteuerung gleichzeitig der Pacht gleich. Mit 2% ist man sehr viel günstiger als typische Nettokaltmieten heute.
- Gab es große Variationen, insb. abhängig davon, ob es gerade Krieg gab. Aber auch mit 15% des Grundstückwertes ist man aus meiner Sicht nicht schlechter dran als heute. Du zahlst ja zusätzlich zur Miete noch deine Steuern.
- Wenn Lehnsherren zu gierig wurden, gab es Aufstände. Mit 30h pro Woche für den Lehnsherren, wäre man recht sicher im Bereich angekommen, wo es Aufstände gibt.
Da würde ich mitgehen. Denke da müsste man eher noch vor die landwirtschaftliche Revolution gehen (ca. 12-16.000 a.d.) um zu Zeiten mit mehr Freizeit beim modernen Menschen rauszukommen. (Quelle: Bin fast mit dem Buch “Sapiens - eine kurze Geschichte der Menschheit” durch, sehr empfehlenswert)
Harari kann man schwerlich als Quelle bezeichnen. Das verläuft irgendwo zwischen Fantasy und Gewäsch, aber wissenschaftlich belastbar ist da wenig.
Graeber & Wengrow haben da mit “Anfänge” eine Alternative zu verfasst. Großer Vorteil ist, dass die zumindest ihre Quellen gelesen haben.
Danke für den Input, muss ich mir auch mal anschauen. Fand es bisher recht interessant, vor allem um den Aufstieg des Menschen “von anderen Perspektiven” zu betrachten, aber muss man wohl etwas kritisch betrachten was Details und Fakten angeht.
@kohlenstoff @chrizzly spannend! Kannst du mehr dazu sagen, wie du zu dieser Aussage kommst? Bei mir liegt der Schinken nämlich auch noch im Backlog
Es kommt wohl sehr darauf an, was man als Arbeit zählt. Allerdings hatte man im Mittelalter sehr viel mehr Feiertage als heute, welche wohl die Arbeitszeit auf ein ähnliches Niveau wie heute bringen würde. Auch heute arbeiten viele Teilzeit und damit weniger als die 40h Woche.
Ja aber wie viele Milliardäre gab es damals? Hm? Siehste.
Ich hab gestern ne Arte-Doku über die Arbeitszeit geschaut: https://www.arte.tv/de/videos/120854-005-A/haben-wir-frueher-mehr-geschuftet/