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    2 days ago

    Da stimme ich dir zu und verweise auf die Möglichkeit den Aggressor mit bestehenden Mitteln in die Schranken zu weisen.

    Du fragst in deinem verlinkten Post danach, was einen Angriff Russlands plausibel erscheinen lässt. Gerne möchte ich dir meine Sichtweise darauf erläutern:

    Ähnlich wie bei der Ukraine denke ich, dass der Weg in den Konflikt nicht dadurch bestimmt ist, dass von vornherein das “ganz große Bild” gedacht wird. Erinner dich, dass Russland Anfang 2022 mit vielleicht 150k Mann an der Grenze stand und viele Skeptiker sagten, dass man alleine schon an dieser geringen Zahl Soldaten sehen würde, dass Putin doch niemals wirklich einmarschieren würde, sondern nur blufft. Frau Wagenknecht hat uns quasi unmittelbar vor der Invasion im Fernsehen noch breit erklärt, wie hanebüchen die Warnungen von westlichen Kriegshysterikern wären, weil Putin doch schließlich kein Idiot sei. Na, zumindest unmittelbar nach der Invasion hatte sie dann aber ziemlich Kreide gefressen.

    Putin ist dem Trugschluss aufgesessen, die Invasion in die Ukraine wäre kalkulierbar und schnell erledigt. Wer kann es ihm verübeln, 2014 auf der Krim hat man ihn ja auch gewähren lassen und gleichzeitig hat er ein Umfeld geschaffen, das ein Interesse hat, ihm nur noch zu sagen, was er hören mag. Und heute stehen hunderttausende im vierten Jahr des Krieges an der Front, er hat unermesslich viel Material aber eben auch Menschen verloren und zu Hause kackt ihm die Wirtschaft ab. Hätte er das im Januar 2022 gewusst, hätte er es wohl nicht gemacht.

    Und nun? Sein Land ist auf Kriegswirtschaft umgestellt, das heißt, er kann ohne weiteres auch gar nicht mehr raus aus der Nummer, ohne dass daheim der komplette Zusammenbruch erfolgt. Krieg hält dieses Land wirtschaftlich noch am Leben. Gleichzeitig wurden, wie schon bei der Ukraine, rhetorisch längst Herrschaftsansprüche bspw. im Baltikum geltend gemacht, während Putin selber den Zusammenbruch der Sowjetunion als größte Katastrophe bezeichnet. Wir haben es hier mit einem autokratischen Herrscher auf der Suche nach verlorener nationaler Größe und Ehre zu tun. Gerade da sollten bei uns Deutschen die ganz große Alarmglocke schellen, wir kennen das.

    “Lass mal gucken, ob die Artikel 5 wirklich machen, höhö”

    Ich erwarte keine offene, große Konfrontation mit der gesamten NATO, denn insbesondere von einer direkten Konfrontation mit den Amerikanern könnte er sich quasi nix versprechen. Aber ich halte ein mehr oder minder “hybrides” Vorgehen im Baltikum für absolut realistisch und tatsächlich erwartbar. Es wird eines Tages einen Vorfall mit den berühmt-berüchtigten ‘Grünen Männchen’ bspw. in der estnischen Grenzstadt Narva geben. Wenn da plötzlich 2.500 Mann in 2 Stunden konzertiert die Stadt besetzen, was macht dann der ‘Westen’? Lösen wir tatsächlich Artikel 5 aus und würde der dann tatsächlich zu einer offenen militärischen Konfrontation mit Russland führen? Wir haben heute schon sehr viele Leute, die mit Blick auf die Ukraine sagen, dass man sie ihm doch einfach lassen sollte. Warum sollte das bei Estland anders sein? Wollen wir einen Weltkrieg lostreten wegen einer 50.000-Einwohner-Stadt irgendwo im Nirgendwo? Genau das wird dann gefragt werden.

    Dazu kommt, dass wohl momentan keiner ernsthaft davon ausgehen kann, dass die Amerikaner tatsächlich sicher ihrer Bündnisverpflichtung nachkommen würden. Deren Präsident würde die Esten und uns andere Europäer mit einem Wimpernschlag in einem seiner “Deals” verhökern. Damit ist jedoch in Europa die Abschreckungswirkung des amerikanischen Löwenanteils in der NATO mehr oder minder zahnlos geworden.

    Also ja, ich gehe tatsächlich davon aus, dass gerade die existierenden Zweifel an der tatsächlichen Effektivität von und den gravierenden Konsequenzen aus Artikel 5 in Verbindung mit der Vorstellung, eine kalkulierbare, begrenzte “militärische Spezialoperation” statt eines Krieges führen zu können und einer komplett auf Krieg gedrillten russischen Industrie und Bevölkerung, genau zur Gefahr eines großen Krieges führt.

    Und daher erachte ich es als elementar, dass wir besser als bisher und insb. auch ohne verlässliche Amerikaner im Rücken, das unbedingte Versprechen projizieren können müssen, dass ein militärisches Vorgehen egal wo und egal wie auf unserem europäischen Bündnisgebiet extreme Konsequenzen nach sich ziehen wird und es daran tatsächlich keinerlei Zweifel geben darf.

    • kossa@feddit.org
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      1 day ago

      Ja, alles schön und gut, ggf. auch richtig. Aber wenn das Bedrohungsszenario lautet

      Putin führt irregulären Krieg in Estland, lässt Grenzstadt mit 2500 Einwohnern besetzen und guckt, was dann passiert

      Wie genau hilft da jetzt die Wehrpflicht? Die Fragen sind ja, wie du schriebst, eher

      • Was machen die USA?
      • Was macht die NATO?
      • Was macht Deutschland?

      Wenn Deutschland sagt “wir helfen die 2500 Soldaten da rauszukämpfen”, dann brauchen wir doch keine Million Hanseln, die irgendwann mal eine lappige Grundausbildung gemacht haben?!

      • Quittenbrot@feddit.org
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        10 hours ago

        Was machen die USA?

        Die Frage ist leicht beantwortet: Stand jetzt müssen wir davon ausgehen, dass sie nichts machen.

        Was macht die NATO?

        …also ist auch von der NATO nur eingeschränkt eine Antwort zu erwarten. Alles in der NATO läuft über die USA. Bleiben die liegen, ist die NATO nicht voll da.

        Was macht Deutschland?

        Eben, und schon sind wir an der Reihe.

        Wir sind gerade an einem Punkt, wo man sich eigentlich über die politischen Lagergrenzen hinweg einig sein sollte, dass wir raus müssen aus der Abhängigkeit von den Amis. Weil sie nicht unsere Ziele verfolgen, weil sie unzuverlässig sind, weil wir endlich auf eigenen Beinen stehen wollen.

        Das bedeutet aber auch, dass die Abschreckung an Andere nicht mehr durch die hier stationierten Amis transportiert wird, sondern von uns selber erbracht werden muss. Und das bedingt, dass wir anfangen, überhaupt erst mal wieder eine funktionierende Bundeswehr aufzubauen, die ihren Kernauftrag, nämlich die Landes- und Bündnisverteidigung, auch tatsächlich nachhaltig erfüllen könnte - statt wie bis “heute” (bis 2022) eine Expeditions-Truppe zu sein, die man am Hindukusch oder vor Somalia einsetzt und die damit ausgelastet ist.

        Wenn der Bundeswehr weiter der personelle und gesellschaftliche Unterbau fehlt, dann wird ein Akteur wie Russland sich davon nicht wirklich beeindrucken lassen, weil klar ist, dass wir einen andauernden Konflikt wie momentan die Ukraine gar nicht führen können. Schau dir im Vergleich die Finnen an, die sind seit Ewigkeiten für genau diesen Fall akribisch vorbereitet. Wären wir das alle in Europa, hätten wir von einem Spinner wie Putin nichts zu befürchten. Wir bräuchten auch keine NATO mehr mit den Amis, deren Launen wir gerade auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Mir persönlich reicht alleine schon diese Aussicht allein als Argument…

      • :antifa: Eskalator :tux:@fedifreu.de
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        1 day ago

        @kossa @Quittenbrot

        Wenn Deutschland sagt “wir helfen die 2500 Soldaten da rauszukämpfen”, dann brauchen wir doch keine Million Hanseln, die irgendwann mal eine lappige Grundausbildung gemacht haben?!

        Doch!
        Ob es jetzt Millionen sein müssen sei dahingestellt.

        Fakt ist aber, das wir kein abschreckender Gegner sind, wenn unsere militärische Kapazität damit erschöpft ist dass wir 2500 Soldaten im Einsatz haben.

        Dann sind wir für Russland halt Fastfood, bzw. ein Happen im vorübergehen.

        Das steigert die Kriegsgefahr ungemein.

        Du kannst dir ja mal überlegen, ob Russland die Ukraine und deren Zivilbevölkerung so hemmungslos angegriffen hätte, wenn die Ukraine noch ihrer Atomwaffenarsenal (drittgrößtes der Welt) gehabt hätte.

        Und um gleich irgendwelchen Vorurteilen zuvor zu kommen.
        Mir gefällt das nicht, und ich wünsche mir auch keinen Krieg. Wir haben mit Putin aber einen Schulhofbulli. Und meine persönliche Erfahrung ist das man von dem seine Ruhe hat, wenn er das Gefühl hat, dass er vielleicht gewinnen kann, sich aber mindestens eine blutige Nase holt. Der sucht sich die aus die er für schwach hält. Leute die sich wehren können lässt er in Frieden.
        Das nennt man Abschreckung !

        Hast du schon von den vielen russischen Provokationen gegenüber der USA gehört?!

        Ich auch nicht!
        Warum wohl ?!

        • kossa@feddit.org
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          23 hours ago

          wenn unsere militärische Kapazität damit erschöpft ist dass wir 2500 Soldaten im Einsatz haben.

          Bin ich bei dir, das wäre schlecht. Aber dann sollte man irgendwas an oder in der Bundeswehr verändern, um dafür zu sorgen, dass 2500 von 180000 Soldaten nicht schon die Leistungsfähigkeit übersteigt.

          Dann sind wir für Russland halt Fastfood, bzw. ein Happen im vorübergehen. Das steigert die Kriegsgefahr ungemein.

          Ja, zu schwach ggü. einem potentiellen Gegner zu sein, steigert die Kriegsgefahr. Eine durchmilitarisierte und aufgerüstete Gesellschaft steigert aber auch die Kriegsgefahr. Wenn man nur einen Hammer hat, ist alles ein Nagel und so. Das ist eine delikate Abwägung.

          Wir haben mit Putin aber einen Schulhofbulli

          Ich finde solche Erziehungsvergleiche immer ein bisschen schräg. Aber eine zweite Möglichkeit, den Bulli abzuschrecken, ist es, viele gute Freunde um sich zu scharen. Dann muss ich selbst gar nicht der Stärkste auf dem Schulhof sein.

          • :antifa: Eskalator :tux:@fedifreu.de
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            1 day ago

            @kossa

            Aber dann sollte man irgendwas an oder in der Bundeswehr verändern, um dafür zu sorgen, dass 2500 von 180000 Soldaten schon die Leistungsfähigkeit übersteigt.

            Wie bereits geschrieben.
            Ich finde den Freiwilligen von Pistorius schon richtig.

            Die Anreize kann man ja erhöhen.
            Und die fehlenden Kapazitäten an Kasernen Ausrüstung und Ausbildern muss man ja auch erst schaffen.

            Diesen irren Verlosungsvorschlag von der CDU verstehe ich eh nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen das der verfassungskonform ist.

            Eine durchmilitarisierte und aufgerüstete Gesellschaft steigert aber auch die Kriegsgefahr. Wenn man nur einen Hammer hat, ist alles ein Nagel und so. Das ist eine delikate Abwägung.

            Deswegen wurde das Konzept vom “Bürger in Uniform” ja auch erfunden. Und die seit dem aussetzen der Wehrpflicht zunehmenden rechtsradikalen Umtriebe in der Bundeswehr lassen mich inzwischen glauben, dass das gar keine so schlechte Idee war.

            Aber eine zweite Möglichkeit, den Bulli abzuschrecken, ist es, viele gute Freunde um sich zu scharen. Dann muss ich selbst gar nicht der Stärkste auf dem Schulhof sein.

            Na an dem Punkt sollten wir ja idealerweise sein. Wie sind sowohl Mitglied in der Nato als auch in der EU. Damit stecken wir in zwei Verteidigungsbündnissen.

            Jetzt geht es halt darum zu zeigen dass wir auch wirklich zusammenhalten, und nicht beim ersten Schlag wie Hühner auseinander laufen.
            Diese Gefahr ist groß.

            Und natürlich, und damit kommen wir zum Anfang, brauchen wir genug Material und Wehrfähige Personen .

          • trollercoaster@sh.itjust.works
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            21 hours ago

            Ich finde solche Erziehungsvergleiche immer ein bisschen schräg. Aber eine zweite Möglichkeit, den Bulli abzuschrecken, ist es, viele gute Freunde um sich zu scharen. Dann muss ich selbst gar nicht der Stärkste auf dem Schulhof sein.

            Die Freunde werden aber schon verlangen, dass man selbst nach seinen eigenen Möglichkeiten zur Abschreckung beiträgt. Und das nicht zu tun, wäre auch unsolidarisch.