Als Richterinnen und Staatsanwältinnen dieses Landes sind wir beunruhigt über die Haltung des neuen Bundesinnenministers Dobrindt, der sich unbeeindruckt von der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin zur Zurückweisung von Asylsuchenden ohne Einhaltung des vorgesehenen sog. Dublin-Verfahrens zeigt, die ihm unmissverständlich die Rechtswidrigkeit der von ihm angeordneten Maßnahmen (VG Berlin, Beschluss v. 02.06.2025 – VG 6 L 191/25 –) bescheinigt.
Uns stellt sich die Frage, inwieweit die neue Bundesregierung elementare Grundprinzipien einhält, die den Wesenskern unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bilden. Ein Rechtsstaat kann nur funktionieren, wenn seine Akteure sich an geltendes Recht halten. So ist es in Art. 20 des Grundgesetzes formuliert, der die wesentlichen demokratischen Prinzipien zusammenfasst und dabei die Bindung aller staatlichen Gewalt an Recht und Gesetz normiert. Nicht nur die Äußerungen des Innenministers, sondern auch die Kommentare weiterer Regierungsmitglieder sowie prominenter Medienvertreter geben Anlass zu der Befürchtung, dass diese Wesenskerne des demokratischen Zusammenlebens in Freiheit und Gleichheit derzeit von maßgeblichen Teilen der Gesellschaft nicht mehr verstanden werden oder aber – weitaus schlimmer – dass sie bewusst übergangen werden.
Das Prinzip der Gewaltenteilung sollte einem Innenminister, der auf dem Boden unserer Verfassung steht, dabei ebenso geläufig sein wie die in Art. 20 Abs. 3 GG festgeschriebene Bindung der Exekutive an Recht und Gesetz. „Die Aussage, es handele sich nur um eine „Einzelfallentscheidung“, zeugt von einer erschreckenden Ignoranz gegenüber der in der betreffenden Entscheidung zur Begründung herangezogenen EU-Regeln, die nicht nur in diesem Einzelfall, sondern generell Gültigkeit haben“ – betont der Sprecher der Neuen Richter*innenvereinigung Dr. Sven Kersten. Auch die rechtlich fehlerhafte Behauptung, dass in einem noch folgenden Hauptsacheverfahren, das nunmehr abgeschlossen ist, die Zurückweisung noch besser begründet werden könne, lässt ein unzureichendes Rechtsverständnis des Innenministers erkennen.
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Wir leben in Zeiten, in denen es anscheinend akzeptabel ist, als Politiker gegen geltendes Recht zu verstossen.